Die Heimatpfarrei als außerschulischer Lernort
Selbstorganisiertes und kooperatives Lernen im Religionsunterricht — 02.05.2019
Religiöses Lernen vollzog sich früher an drei Orten:
in der Familie, in der Pfarrgemeinde und in der Schule.
Heutzutage ist Kirche als Ort und als Gemeinschaft vielen Kindern und Jugendlichen und deren Familien fremd geworden. Einige Schülerinnen und Schüler sind hingegen noch als Messdienerinnen und Messdiener aktive Mitglieder der Pfarreien. Begriffe wie „Sakristei“, „Tabernakel“ oder gar „Fronleichnamsprozession“ sind für die einen schwer zu lernende Fremdwörter, für die anderen seit Jahren vertrauter Wortschatz.
Angesichts dieser Heterogenität liegt es nahe, dass ein einheitlicher Frontalunterricht schnell Gefahr läuft, die einen zu langweilen oder die anderen zu überfordern. Geht es um das Kennenlernen von Kirche vor Ort sind Unterrichtsformen sinnvoll, in denen die Kinder, die in der Kirche beheimatet sind, ihre Erfahrungen, ihr Vor-wissen und ihre Kontakte mit den Mitschülern teilen,
die keinen Bezug mehr zu einer Kirchengemeinde haben.
Indem die Lerngruppe die Aufgabe erhält, in wohnortgebundenen Teams gemeinsam Portfolios zur eigenen Heimatpfarrei zu erstellen, sind jedoch nicht nur die Kenntnisse der „Kirchenexperten“ gefragt; die in der Pfarrei nicht aktiven Schülerinnen und Schüler bringen bei der Ausarbeitung des Portfolios in methodischer Hinsicht die eigenen Stärken und Fähigkeiten für die Gruppenarbeit ein (Interviews führen, Texte verfassen etc.).
Das gemeinsam gestaltete Produkt soll unter anderem Auskunft zu folgenden Fragen bieten:
- Wie heißt die Pfarrei, zu der wir gehören? Welchen Namen trägt unsere Kirche vor Ort?
- Wie sieht unsere Heimatkirche aus? Wie ist der Innenraum des Bauwerks gestaltet?
- Welche Menschen sind in der Kirche hauptamtlich tätig? Welche Aufgaben gibt es?
- Warum engagieren sich Menschen ehrenamtlich in der Kirche vor Ort?
- Welche Angebote macht die Gemeinde für Kinder / Jugendliche und ihre Familien?
Darüber hinaus ist es Aufgabe jedes Teams, eigene Schwerpunkte zu setzen und weitere Beiträge ohne feste Themenvorgabe zu gestalten. Das kann ein Bericht über einen erlebten Familiengottesdienst oder z.B. ein Entwurf für eine Umgestaltung des Kirchenraums sein.
Bei einem Unterrichtsgang in die benachbarte „Heilig Geist“- Kirche entdecken wir zunächst exemplarisch einen Kirchenraum gemeinsam und reflektieren, welche Verhaltensweisen bei der Erkundung einer Kirche angebracht sind. Ebenso wird im Vorfeld zusammen besprochen und eingeübt, was bei der Durchführung von Interviews zu beachten ist.
Dann kann das selbstorganisierte Arbeiten starten. Dabei stellen sich viele Fragen, z.B.:
- Wer kann gut fotografieren und die Bilder von der Kirche am Computer bearbeiten?
- Wer zeichnet einen Grundriss von der Kirche?
- Möchte jmd. einen Beitrag malen? Vielleicht die Kirchenfenster? Oder den Taufstein?
- Wer recherchiert Informationen zur Geschichte der Kirche und zum Gemeindeleben, z.B. im Pfarrblatt oder im Internet?
- Wer stellt einen Kontakt zu einem Kirchenmitglied her und vereinbart einen Termin? Wollen wir hauptamtliche oder ehrenamtliche Gläubige befragen?
- Wer führt die Interviews durch? Wer stellt die Fragen, wer schreibt mit?
- Wer fasst die Ergebnisse in ansprechend formulierten Texten zusammen?
- Wer gestaltet ein Titelblatt, vielleicht auch ein Inhaltsverzeichnis?
Dabei lernen die Kinder sowohl inhaltlich als auch methodisch voneinander, bezüglich der Teamarbeit und Projektorganisation lernen sie darüber hinaus auch allerlei miteinander.
In einigen Gruppenkonstellationen entwickelt sich überraschend schnell eine überaus produktive Arbeitsatmosphäre: die vielfältigen kreativen Ideen der Kinder beeindrucken, ebenso ihr Fleiß und das Arbeitstempo.
Vereinzelt gibt es auch Teams, in denen das selbstorganisierte Lernen nicht auf Anhieb klappt. Sie brauchen etwas mehr Unterstützung, letztlich wird ihnen die Verantwortung für die eigene Arbeit aber nicht abgenommen. Wer in den Unterrichtsstunden Zeit vertrödelt, macht die Erfahrung, dass mehr Arbeit in die Freizeit mitgenommen werden muss. Wer sich nicht an die Vereinbarungen hält und seine Aufgaben nicht erledigt, schadet damit der ganzen Gruppe. Die Arbeit muss nachgeholt werden.
Solche Erfahrungen zu machen, auch dazu ist Schule da.
Aus den Rückmeldungen der Mitschülerinnen und Mitschüler und dem Feedback der Lehrerin kann für die Zukunft gelernt werden.
Zur Portfolio-Arbeit gehört es, dass der Arbeitsprozess von den Schülerinnen und Schülern auch selbst reflektiert wird:
=> Was habe ich wie gelernt? Was hat gut geklappt?
=> Wie können wir zukünftig unsere Arbeit noch besser
organisieren?
„Kirche vor Ort“ lässt sich nicht aus dem Schulbuch erlernen, viel nachhaltiger ist es, tatsächlich „vor Ort“ von- und miteinander zu lernen, ins Gespräch zu kommen und die Ergebnisse selbstständig ansprechend zu dokumentieren. Bei der Präsentation der Portfolios vor der Lerngruppe war den Schülerinnen und Schülern der Stolz auf ihre Arbeit deutlich anzumerken – zu Recht!