Herkunft
Welche Bedeutung hat sie? — 28.08.2019
von Mason Lebron (12)
Herkunft
Bedeutungen (2)
- soziale Abstammung; bestimmter sozialer, nationaler, kultureller Bereich, aus dem jemand herkommt
- Ursprung einer Sache
Die Herkunft einer Person ist immer eine interessante, aber fast nie unkomplizierte Angelegenheit. Wann ist ein Land deine Heimat und nicht einfach nur das Land, aus dem deine Eltern kommen oder in dem du aufgewachsen bist?
Diese Frage stellen sich täglich viele Personen. Wenn die Eltern einer Person unterschiedliche Heimatländer, Sprachen, Religionen, Kulturen und Ideale haben und man in einem dieser Länder lebt oder geboren wurde, ist das dann „deine Heimat, dein Land“?
Was ist, wenn du in einem Land lebst, dem keiner in deiner Familie angehört? Auch das Sickingen-Gymnasium freut sich, viele multikulturelle Schülerinnen und Schüler zu haben. Besonders deshalb ist es interessant, sich mit Herkunft und deren Bedeutung zu beschäftigen.
Aus diesem Grund wurden rund 7 Schülerinnen und Schüler mit multikulturellem Hintergrund zu diesem Thema befragt.
Bei Shirin E. (MSS 11) ist dies besonderes interessant. Sie wurde in Deutschland geboren, aber ihr Vater, der Palästinenser ist, flüchtete vor langer Zeit in den Libanon und anschließend nach Deutschland. Ihre Mutter ist Tunesierin und so sieht sie sich als eine „Mischung aus beidem“ an. Als sie dazu befragt wurde, ob sie sich zu einem Land oder einer Kultur mehr zugehörig fühle, oder ob beide Länder bzw. Kulturen ihre Identität bestimmten, war ihre Antwort sehr überraschend.
Sie gibt zu, dass diese Frage schwer zu beantworten sei. Deutschland sei ihr Zuhause, Tunesien und der Libanon aber ihre Heimat. Hier macht sie einen klaren Unterschied. Jedoch ist folgendes bemerkenswert. Sie beschreibt das Problem in Deutschland geboren zu sein, aber Eltern aus dem Ausland zu haben. Sie sagt „(…) Hier in Deutschland ist man der Ausländer und in der Heimat (Tunesien/ Libanon) ist man die Deutsche, die hier Urlaub macht. Man gehört sozusagen nie wirklich dazu, egal wo.(…)“
Dieses Phänomen untersuchten die Soziologen Ruth Hill Useen und John Useen, die dafür den Begriff „Dritt-Kultur-Kinder“ eingeführt haben. Dies sind Personen, die einen signifikanten Teil ihrer Entwicklungsjahre außerhalb der Kultur ihrer Eltern gelebt haben (Pollock & van Reken; 1999). Dabei bilden zwei Personen unterschiedlicher Kultur untereinander eine neue. Diese enthält Teile der Herkunftskultur und der umgebenden Kultur, gleicht aber keiner von beiden. Wie Shirin übernimmt das Dritt-Kultur-Kind Elemente aus verschiedenen Kulturen, es fühlt sich aber meist keiner ganz zugehörig. Differenziert betrachtet muss man aber auch sagen, dass Shirin das Problem nicht unbedingt in sich selbst sieht, also, dass sie sich mit keinem Land und keiner Kultur ganz verbunden fühlt, denn sie gibt ja Tunesien und Palästina bzw. den Libanon als ihre Heimat an. Vielleicht sieht sie das Problem eher darin, dass andere Menschen sie nicht richtig „zuordnen“ oder verstehen können.
Shirin ist aber nicht die Einzige, die von ihren Mitmenschen nicht als Person mit multikulturellen und mehreren Herkunftsländern anerkannt wird. So geht es auch Caner G. (MSS 12), dessen Eltern aus Anatolien in der Türkei kommen. Er sieht den Humor darin, in Deutschland als Türke gesehen zu werden und in der Türkei bei seiner Familie „der Deutsche“ genannt zu werden.
Ähnlich geht es auch Liane G. (MSS 12). Sie selbst wurde hier in Deutschland geboren, aber ihre Eltern stammen ursprünglich aus Kasachstan. Als Nachteil ihres multikulturellen Hintergrunds sieht sie, dass sie nicht als „richtige Deutsche“ anerkannt wird, da ihre Eltern und übrige Familie aus dem Ausland stammen.
Als Shirin dazu befragt wurde, was ihre Herkunft ihr bedeutet, sagte sie „Für mich ist Herkunft sehr wichtig und man sollte diese in keinem Fall leugnen. Früher ist es mir oft schwer gefallen, auf meine Herkunft komplett stolz zu sein, da man vor allem in der Grundschule Angst hatte, anders behandelt zu werden. Jetzt bin ich jedoch stolz auf meine Herkunft und würde diese nicht ändern wollen.“
Auch weitere Befragten sprachen von einer anderen Beziehung zu ihrer Herkunft in der Grundschule. So auch Jessica K. (MSS 12). Sie ist in Deutschland geboren, hat aber durch ihre Eltern russische, litauische, amerikanische und deutsche Wurzeln. Vorteile sieht sie in ihren Russischkenntnissen, jedoch sagt sie auch, dass ihre deutsche Rechtschreibung und Grammatik unter der Aussetzung von den zahlreichen Sprachen gelitten hat.
Auch sie wurde in der Grundschule wegen der Herkunft ihrer Mutter beschimpft. „Heutzutage“, sagt sie, „wird man nur noch mit den alltäglichen Klischees konfrontiert, wie z.B., dass Russen nur Wodka trinken würden (…).“ Als sie nach ihrem Selbstverständnis befragt wurde, meinte sie: „Ich finde, dass keines der beiden Länder meine Identität bestimmt, sondern, dass meine Identität eher durch Erziehung geprägt wurde. In erster Linie sehe ich mich als Jessica an, nicht als Deutsche oder Russin. Aber ich möchte eigentlich nicht als typische Deutsche oder Russin abgestempelt werden, da das häufig mit einer negativen Sichtweise bestückt ist.“
Jessica fühlt sich also mehr durch Erziehung geprägt, als durch Herkunft. Sie sieht sich nicht einfach nur als Bürgerin eines Landes oder eines Volkes, sondern als individuelle Person mit dem Schwerpunkt auf Persönlichkeit, nicht Herkunft. Trotzdem legt sie Wert auf ihre Multikulturalität. Jedoch könnte man darüber streiten, inwieweit die Herkunft die Erziehung beeinflusst, z.B. durch vermittelte Werte, Einstellungen oder Kultur des Landes bzw. der Länder.
Dies wird auch bei Liane G. deutlich. Sie gibt zum Selbstverständnis ihrer Herkunft an: „Da ich strenger erzogen wurde, fühle ich mich anders als die „richtigen Deutschen“. Ich sehe mich als Deutsche, da ich noch nie in Russland war, aber verleugne nicht, dass ich die russische Sprache und Kultur sehr mag.“ Damit stimmt sie zu, dass die Erziehung das Verständnis von Herkunft beeinflussen kann. Für Liane hat ihre Herkunft eine sehr große Bedeutung, da ihre ganze Verwandtschaft die russischen Bräuche und Traditionen verfolge. Hier grenzt sie sich kulturell deutlich ab. Die russischen Familie habe z.B. eine sehr wichtige Bedeutung und würde mehr zusammenhalten, als die Deutschen.
Ähnlich ist es auch bei Caner. Er verbinde mit seiner Herkunft viel mehr, als nur ein Land. Für ihn sei seine Herkunft seine Familie in Anatolien, aber auch seine Religion und übernommene Traditionen. „Ich muss sagen, dass ich mich viel mehr der Türkei angehörig fühle, da ich mich mit der Sprache, den Menschen und der Kultur um Einiges mehr identifizieren kann. (…)“ meint Caner. Trotzdem sei auch Deutschland seine Heimat, da er hier geboren und aufgewachsen sei. „Ich bin froh, in Deutschland leben zu dürfen, wenn man sich mal andere Länder anschaut, die in gewissen Maßen nicht so weit entwickelt und fortschrittlich sind. (...)“ Er findet, jeder sollte die als selbstverständlich betrachteten Rechte und Ressourcen, die man in Deutschland hat, schätzen.
Man hat bis jetzt schon deutlich gesehen, dass sich manche Personen eher mit dem Land und der Kultur der Eltern identifizieren, als mit der deutschen. Dies ist interessant, da fast alle Befragten ausschließlich in Deutschland aufgewachsen sind. Dies könnte daran liegen, dass manche Kulturen und Länder größeren Wert auf die Vermittlung von Tradition und Kultur legen, als manche multikulturelle Länder. So ist es z.B., dass einige der oben genannte Schülerinnen von ihren Eltern in außerschulischen Unterricht geschickt worden, damit die Sprache und Schrift wohl über die Generationen nicht verloren geht. Hier sieht man erneut, dass das persönliche Verständnis von Herkunft mit der Überlieferung von Kultur und Herkunft korrespondiert. Die Weitergabe bestimmter Verständnisse und Einstellungen ist ein natürliches Bedürfnis des Menschen. Seit Jahrtausenden haben Menschen schon großen Wert auf die Erhaltung von Wissen gelegt.
Mehrmals wurde von den Befragten darauf hingewiesen, dass sie „früher“ Probleme mit ihrer Herkunft hatten, z.B., da sie anders behandelt wurden. Aus diesem Grund bekamen ein Paar jüngere Schülerinnen aus der siebten Klasse die gleichen Fragen gestellt, um herauszufinden, ob oder wann diese sich mit ihrer persönlichen Bedeutung von Herkunft auseinandergesetzt haben.
Tasnim U. (8a) ist Deutsche, ihre Eltern kommen aber aus Bangladesch. Interessanterweise, gibt sie im Kontrast zu Shirin El Assadi an, dass sie in Bangladesch, die Bengali (Einwohner Bangladeschs) und in Deutschland, die Deutsche sei. Aber auch sie sagt, „Früher wollte ich meine Herkunft nicht angeben.“ Denn, was sie und Shirin gemeinsam haben, ist, dass sie des öfteren „den ein oder anderen Spruch anhören mussten, unter anderem auch von Lehrern.“ Auffallend war auch, dass sich fast alle Befragten, weniger Vorurteile und mehr Verständnis wünschten, aber auch Respekt vor anderen Kulturen. Aufschlussreich war auch, dass viele der Befragten teilweise rassistische „Witze“, sowohl von Altersgenossen, als auch von erwachsenen Menschen, ausgesetzt sind. In manchen Fällen sind dies regelrechte, verbale Angriffe. Die jüngeren Schülerinnen stört dies wenig, auch Caner sieht dies mit Humor: „Ich nehme so etwas meist mit Humor auf, weil es zum einen lächerlich ist, dass sich manche Menschen auf derartige Weise äußern, aber auch, da es sich nicht lohnt, sich über solche Dinge Gedanken zu machen. Leider ist so etwas unumgänglich. Schlussendlich kann man derartig rassistische Dinge in keinster Weise verhindern. Leider ist das nun mal so.“
Diese resignierende Ansicht, scheint oberflächlich gesehen, pessimistisch zu wirken. Jedoch muss man berücksichtigen, dass viele Menschen auf einer täglichen Basis rassistischen und diskriminierenden Kommentaren ausgesetzt sind, nur weil sie einen anderen Hautton haben, oder noch eine andere Sprache sprechen, obwohl jene genauso Bürger dieses Landes sind, wie andere auch.
Was mir bei der Befragung der jüngeren Mädchen auffiel, war eine verteidigende Position. Im Gegensatz zu den Älteren, gaben sie relativ kurze, unpersönliche Antworten, was nichts Schlimmes ist. Mir fiel dabei auf, dass diese in ihrem Alltag wohl wenig mit ihrem multikulturellen Hintergrund konfrontiert werden wollen und einfach „normal, wie Menschen“ behandelt werden wollen, was sehr verständlich ist. Zu einem späteren Zeitpunkt aber, wird ihnen bzw. wird jedem seine eigene Bedeutung von Herkunft bewusst. Man findet Gefallen oder Kritik ihr, vielleicht stimmt sie aber auch mit seiner persönlichen Weltansicht und Identität überein. Dies muss jedoch keineswegs nur bei multikulturellen Personen der Fall sein. So scheint es aber bei Caner gewesen zu sein, denn für ihn hat seine Herkunft „eine sehr sehr große Bedeutung, im familiären, als auch im kulturellen, religiösen Aspekt.“ Dies sind alles jedoch nur Überlegungen. Vielleicht stimmt die Herkunft aber auch nicht mit seiner persönlichen Identität und Weltansicht überein. Ich zum Beispiel, bin Halb-Amerikaner und amerikanischer Staatsbürger. Deutschland und Amerika sind sehr christliche Länder, dadurch bin auch ich relativ christlich erzogen worden. Dennoch bin ich keineswegs ein überzeugter Christ. Manche Dinge können eben selbst durch Herkunft und Erziehung nicht vermittelt werden. Deshalb erscheint es auch sinnlos, manche Verhaltensmuster auf ein Land oder Kultur zurückzuführen, woraus sich dann schnell Vorurteile und Stigmata entwickeln.
Trotzdem ist Tasnim, wie Rania Latif N. (7b), die pakistanische Wurzeln hat, und Evelyn A. (7b), deren Eltern aus Kasachstan kommen, stolz auf und zufrieden mit ihrer Herkunft. So sieht sich Evelyn im Vergleich zu Liane nur als Russin. Wobei man nicht wissen kann, welche Motivation sie zu diesem Selbstverständnis geführt haben, womöglich wie bei Liane, die Kultur und das enge Familienverständnis.
Zusammenfassend kann man sagen, dass das Themengebiet von Herkunft und Bedeutung grenzenlos ist. Aber nur, weil z.B. zwei Personen einen ähnlichen multikulturellen Hintergrund haben, heißt es nicht, dass diese die gleichen Motive für ihr Verständnis ihrer Herkunft haben.
Die allgemeine Bedeutung von Herkunft ist von Land zu Land, und damit von Kultur zu Kultur unterschiedlich. Wenn man einer für ein Land fremden Kultur angehört, kann man im Alltag viele Hürden begegnen, z.B., wenn man mit Unverständnis konfrontiert wird und deshalb sogar anders behandelt wird. Dies wurde vor allem deutlich, wenn die Kultur missverstanden wird oder man einen sprachlichen Akzent hat. Vorteile eines multikulturellen Hintergrundes sind unter anderem erweiterte Sprachkenntnisse.
Was ich persönlich bedeutend finde, ist, dass Shirin keine großen Nachteile sieht, da sie in Deutschland mit der Sprache und Kultur aufgewachsen ist. So ist sie mit mindestens zwei Ländern und Kulturen vertraut und hat dadurch ein besseres Verständnis und Einblicke in verschiedenste Lebensbereiche. Mit einem multikulturellen Verständnis ist man in der Regel sehr weltoffen, man ist nicht unbedingt in bestimmte Traditionen verwurzelt und hat die Freiheit, sich an den unterschiedlichsten Orten der Welt zuhause zu fühlen. Dadurch ist man z.B. als Bürger besser gegen Populismus geschützt, da man sich durch fremde Kulturen nicht in seiner nationalen Identität eingeschränkt fühlt. Hierbei ist jedoch anzumerken, dass dies alles theoretische Überlegungen sind. Bei zwei vermittelten Kulturen könnte man sich diejenige aussuchen, der man eher zustimmt. Jedoch glaube ich ehrlicherweise, dass man unabsichtlich Elemente mehrerer Länder und Kulturen aufnimmt und dadurch seine eigene entwickelt. Deshalb hat jeder, glaube ich, auch ein eigenes Verständnis und eine eigene Bedeutung von Herkunft.
Schlussfolgernd passen dazu Jessica K.'s Worte „Für mich ist es eigentlich sehr wichtig, dass ich meine Wurzeln in mehreren Ländern habe, weil ich nicht gerne nur einer Nationalität angehören möchte.“
Quellen:
search.creativecommons.org/photos/89019839-1905-4f2b-96bd
humedica.org/berichte/2012/third-culture-kids---teil-1/index_ger.html duden.de/rechtschreibung/Herkunft
zdf.de/gesellschaft/precht/precht-populismus--ende-der-demokratien-richard-david-precht-im-gespraech-mit-francis-fukuyama-100.ht
ccsearch.creativecommons.org/photos/c590fb09-75de-4047-b8b3-6c7dbd115785