Der Beruf des Menschen ist es, Mensch zu sein
Deutsch-Französisches Philosophie-Projekt im Wald von Fontainebleau — 10.10.2016
von Achim Jung
Die Schülerinnen und Schüler aus Versailles und Landstuhl mit JProf. Dr. Christian Thein (vorne links), Peter Holz (vorne, Mitte, Christine Martin (hinten, Mitte) und Achim Jung (hinten, rechts)
Zum zweiten Mal begegneten sich zwei Philosophieklassen aus Versailles und Landstuhl zu einem gemeinsamen Unterrichtsprojekt, diesmal in der Jugendbegegnungsstätte Bois du Lys im Wald von Fontainebleau südlich von Paris. Der Schwerpunkt der Projektwoche war das Thema „Bildung“. Im Mittelpunkt der Schüleraktivitäten standen vor allem Übungen zum philosohischen Schreiben. Ein besonderer Fokus lag dabei auf den Bildungstheorien von Jean-Jacques Rousseau und Wilhelm von Humboldt. Beide sehen das Ziel der Bildung nicht in der Ausbildung zu einem Beruf, sondern begreifen den Menschen als entwicklungsfähige Persönlichkeit, die die Freiheit haben muss, sich gemäß ihren Neigungen und Begabungen zu entwickeln: Der Beruf des Menschen ist es, Mensch zu sein. Rousseau vertrat die optimistische Ansicht, dass der Mensch von Natur aus gut und unendlich entwicklungsfähig sei.
JProf. Dr. Christian Thein gab eine Einführung in die Gender-Debatte
Der aus der freien Republik Genf stammende Philosoph forderte, dass man sich bei der Erziehung an den Bedürfnissen und dem Wesen der Kinder orientieren müsse und seine im "Émile", dem Klassiker der Pädagogik, dargelegten Gedanken bieten bis heute eine philosophische Orientierung, wenn es darum geht, darüber reflektieren, was eine richtige und den Kindern gemäße Erziehung ist.
Auch Rousseaus ungewöhnliche Vorstellungen zur unterschiedlichen Erziehung von Jungen und Mädchen wurden von den deutschen und französischen Schülerinnen und Schülern kritisch reflektiert. Zum Verhältnis der Geschlechter und zur Gender-Debatte bot der Philosoph JProf. Dr. Christian Thein von der Johannes Gutenberg – Universität Mainz eine Einführung und einen Workshop zum philosophischen Schreiben an. Während des Projekts wechselten sich Phasen des gemeinsamen Philosophierens mit kreativen Aktivitäten ab. Auch das gemeinsame Spiel, philosophische Gespräche und die Geselligkeit kamen nicht zu kurz.
Die Projektgruppe vor dem Panthéon in Paris, wo Jean-Jacques Rousseau begraben liegt.
Das Projekt wurde von den Philosophielehrern Christine Martin und Peter Holz vom Deutsch-Französischen Gymnasium in Buc und von Achim Jung vom Sickingen-Gymnasium geleitet. Für alle Beteiligten waren die Tage in Frankreich eine sehr bereichernde und wertvolle Erfahrung, gerade in einer Zeit, in der wieder viel von Grenzen zwischen Ländern die Rede ist und in der auch wieder Grenzen in den Köpfen entstehen.
Eine solche grenzübergreifende Kooperation mit einem gemeinsamen Unterrichtsprojekt ist nichts Selbstverständliches. Etwas ganz Besonderes ist sie jedoch ganz vornehmlich im Fach Philosophie.
Zwar ist Philosophie in Frankreich für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtendes Hauptfach und schriftliches Prüfungsfach im Abitur und gilt insbesondere als notwendiger Bestandteil staatsbürgerlicher Bildung. In Rheinland-Pfalz jedoch ist das Sickingen-Gymnasium die einzige Schule, an dem es einen Leistungskurs Philosophie gibt, wobei Philosophie nicht zu verwechseln ist mit Ethik, das heißt dem „Ersatzfach“ für Religion. Philosophie als eigenständiges Fach zusätzlich zu Religion bzw. Ethik wird sogar in ganz Deutschland an keiner anderen Schule in der Oberstufe als Leistungskurs angeboten.
Es gab während der Projektwoche auch beschauliche Momente und philosophische Erfahrungen, wie hier im Jardin du Luxemburg in Paris
Das deutsch-französische Philosophie-Projekt wurde vom Deutsch-Französischen Jugendwerk, vom Ministerium für Bildung in Mainz und vom Verein der Freunde des Sickingen-Gymnasiums gefördert.
Artikel in französischer Sprache
Den Artikel zum Philosophie-Projekt auf der Burg Thallichtenberg im letzten Schuljahr